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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Von Socken, Feuer und Türen


Delta Romeo
01.06.2020, 13:05
So ein Fenster ist eine merkwürdige Sache. Es erlaubt den Kontakt mit der Außenwelt, ohne selbst Teil davon zu werden. Schließt einen in Wirklichkeit von der Welt aus und lässt doch die Teilhabe zu. So sehe ich die Berge, die berühmten Panoramen der Heimat und bin doch nicht Teil davon. Bin vielmehr in meiner eigenen Welt, kann ganz unabhängig von den Wirklichkeit jenseits des Fensters über eine andere Existenz herrschen. Verbunden nur mit etwas Draht und Kunststoff durch ein Loch in der Wand. Nicht, dass ich wahrlich herrschen würde, doch ich könnte. Ein reichlich abstraktes Gefühl, wenn man es sich so durch den Kopf gehen lässt. Zumindest weitaus abstrakter als dieses Fenster, das mich mit nur so einem viel kleineren Teil der Welt in Verbindung treten lässt und dafür umso realer wirkt. Noch merkwürdiger als der Blick in die Welt erschien mir jedoch schon immer der Blick ins eigene Selbst. Nicht profan wie ein Spiegel, der einem die eigenen Fratze schlicht ins Angesicht schmettert. Eher dezent. Nur ein Bruchteil des Lichts, zumindest an so einem schönen, sonnigen Alpentag, wird gespiegelt. Man erahnt sich allenfalls, muss sich auf sich konzentrieren. Doch eigentlich stelle ich mir gerade eine ganz andere Frage: Was ist das für eine Tür, die sich schemenhaft da in meinem Fenster spiegelt?

Zeit sich umzudrehen, dachte sie sich, und tatsächlich war da eine Tür in ihrer Wohnung. Das mag nicht weiter ungewöhnlich klingen, doch zuvor war da keine Tür. Natürlich verfügte ihre Wohnung über Türen. Zwischen jedem Raum eine, sowie eine ins Treppenhaus, die sie mit der Welt verband. Genau dort, an dieser Stelle, war aber nie eine Tür. Jetzt war sie da. Ungerührt, von den anderen nicht zu unterscheiden, prangte sie in der Wand, als wäre es die selbstverständlichste Tatsache der Welt. Sie strahlte eine gar ansteckende Aura der Gleichgültigkeit aus. Die Tür stand einfach da, als gehöre sie dahin, wie die sie umgebene Wand, die das Wohnzimmer vom Badezimmer trennte. Eine Tür, deren Existenz schon allein der Anstand gebot, wenn es diese Verbindung auch bisher nie gebraucht hatte. Das Badezimmer war nur über einen unwesentlichen Umweg über den Flur vom Wohnzimmer aus zu erreichen. Ein Weg, der unzählige Male beschritten, nie Grund zur Klage war. Dennoch befand sich nun dort diese Tür. Ein wenig Neugier verspürte sie schon, die Tür zu öffnen; fragte sich, ob sie nicht genau in die Dusche würde münden müssen, aber da konnte sie sich freilich täuschen, schließlich hatte sie sich noch nie näher mit dem Gedanken beschäftigt, was sich genau wo in ihrer Wohnung auf der anderen Seite der jeweiligen Wände zu befinden hatte. Selbst, wenn sie es getan hätte, wäre ihr wohl nie in den Sinn gekommen, was nun tatsächlich aus der Tür trat. Es war ein Mann. Nicht, dass noch nie ein Mann in ihrem Badezimmer gewesen wäre, doch ein ihr völlig unbekannter sollte sich bisher eher selten bis nie dorthin verirrt haben. Hoffte sie zumindest, die ein oder andere Nacht war schon feucht genug geraten, dass von mutmaßlicher Fröhlichkeit kaum mehr etwas im Gedächtnis geblieben war. Noch verwunderlicher jedenfalls schien, das Nichts, dass sie sah, als sie versuchte, zu erahnen, was sich von ihrem Bad nun genau am anderen Ende der Tür befand. Sehen konnte sie dort nichts als Schwärze. Zu dieser Tageszeit sollte ihr befenstertes Bad eigentlich nicht dunkel sein.

"Darf ich mich vorstellen?",
fragte sie der ungebetene Besucher.
"Nun, wäre wohl das Mindeste."
"In der Tat, in der Tat. Aber sagen Sie zunächst: Sie wirken erstaunlich ruhig. Überrascht sie meine Anwesenheit nicht?"
Sie deutet auf ihren akkurat auf dem Schreibtisch platzierten Laptop, ehe sie erwiderte:
"Dort habe ich Dinge erfahren, die mich zum Lachen, auch zum Weinen brachten, Dinge, die mich schockierten, Dinge für die mir jegliche Worte fehlen, Dinge von denen ich nie erahnt hätte, dass sie überhaupt Dinge sind. Genau genommen, bin ich mir da heute zumeist noch nicht mal sicher. Sie sind nur ein Mann in einem Ledermantel, der eine gewisse Höflichkeit ausstrahlt. Gut, sie sind aus einer Tür getreten, die zuvor noch nicht da war, aber es ist nur eine Tür in einer Wand. Ich kenne Türen, Wände, Männer in Ledermänteln. Also nichts, was einen vor gänzlich unbekannte Herausforderungen stellt. Möchten sie ein Bier?"
"Nicht ganz nach meinen Geschmack. Freundlich, aber eigentlich bin ich hier, um Ihnen etwas zu zeigen."
"Solange der Mantel zu bleibt."
"Wo denken Sie hin. Wundern Sie sich nicht, wo diese Tür hinführt? Ich verrate Ihnen etwas, ihr Bad ist es nicht."
"Ja, ich hatte da schon so ein Gefühl."
"Waren sie schon mal in Asien?"
"Asien? Wie kommen Sie darauf? Nein, also, ich meine, ich habe mal mit dem Gedanken gespielt. Wollte sogar mal Sinologie studieren, aber irgendwie hat sich das nie so ergeben. Wie kommen sie darauf?"
"Ach, was könnte man nicht alles wollen und werden, was wäre, wenn, hätte man nur mal, na ja, Sie wissen schon. Das ist sozusagen meine Profession. Ich ändere Dinge. Es gibt Türen, die sich nie öffneten, nie öffnen und nie öffnen werden. Außer vielleicht durch mich. Einmal. Verstehen Sie?"
"Nein?"
"Schauen Sie, Fräulein, diese Tür führt in eine andere Welt. In ein anderes Leben. Ich kann Sie öffnen. Sie können Sie durchschreiten. Nur, falls Sie vom Leben mehr erwarten als eine Wohnung aus dem Ikea-Katalog mit Blick auf die immer gleichen Berge."
"Warum ich?"
"Nun, von Zeit zu Zeit findet sich ein besonderer Mensch. Der vielleicht einmal eine Chance ausließ und nun eine zweite zur richtigen Entscheidung bekommen sollte. Dafür bin ich da. Ein guter Geist, im Grunde genommen."
"Was springt für Sie dabei heraus?"
Verlegen blickt der Mann nun nach unten, ehe er antwortet:
"Es ist so, dass Sie nur durch diese Tür treten können, wenn es Ihr fester, eigener Entschluss ist. Ich habe diese Regeln nicht gemacht, wahrlich nicht. Schließlich ist auch bestimmt, dass ich Sie nicht belügen kann. Sie sollten also nicht solche Fragen stellen. Die Antwort könnte Sie in Teilen Ihrer Entschlüsse verunsichern."
Eindringlich bohrt sich ihr Blick in den Mann, bis dieser doch noch fortfährt:
"Ich fürchte, das hat nicht geholfen, oder? Nun gut, nun gut, aber versprechen Sie mir zumindest, ernstlich über mein Angebot eines neuen Lebens nachzudenken. Eines, das sie hätten schon lange führen können. Es wäre wirklich schön.",
Noch bohrender ihr Blick, noch verschlossener ihre Lippen,
"Also gut, auch ich suche meine Freuden. Ich habe eine Schwäche für … nun für ein kleines Feuerchen. Nichts Spektakuläres. Nur ein bisschen Wärme und Licht. Am Anfang. Aber es darf ruhig ein wenig wachsen. Etwas Unruhe, einfach ein wenig Aufregung! Etwas, das die Menschen aus ihrem Trott reißt. Ihr Blut in Wallung geraten lässt. Ihr wahres Gesicht nach außen treten lässt. Ja, ich will der Katalysator für den sowieso unvermeidlichen Untergang sein! Das unvermeidliche Ende in Gräuel aus dem Morgen ins Heute zerren und mich ergötzen! ICH WILL DIE WELT BRENNEN SEHEN!",
waren da tatsächlich lodernde Flammen in seinen Augen? Die Contenance scheint schnell wieder gefunden:
"Pardon, mein Fräulein, was ich zum Ausdruck bringen wollte, ist eigentlich, dass die Welt keine Zukunft hat. Ob mit oder ohne mich oder freilich Sie. Nur könnte es mit mir ein wenig lustiger sein. Für mich. Doch wie ich bereits erwähnte, gelten gewisse Regeln. Diese Welt gehört mir, solange ich nur einem den Weg in eine Existenz ohne mich weise. Eine Existenz muss es sein, nur eine, keine weniger, keine mehr. Alle Brücken müssen abreißen."
"Das klingt ja furchtbar. Wie sollte ich unter diesen Umständen auch nur darüber nachdenken, diese Tür zu benutzen?"
"Nun, einer wird es tun. Wo wollen Sie dann lieber stehen? Dies- oder jenseits?"
Schweigen. Ein Raum, der mit Gedanken gefüllt wird. Bis ihr nur eine Frage bleibt:
"Darf ich meine Socke mitnehmen?"
Er blickt auf ihre nackten Füße, ein Grinsen ziert sein Gesicht, als er sich verbeugt und ihr so den Weg freimacht, sich zur Abreise fertig zu machen.

Mit Sack und Pack steht sie nun tatsächlich vor der Tür in eine neue Welt, in eine neue Realität. Der Mann im Mantel reibt sich die Hände, tänzelt nervös auf seinen Beinen hin und her, deutet zur Klinke:
"Nun machen Sie schon. Ein anderes Leben wartet auf Sie."
"Schon gut, schon gut, ich gehe ja gleich. Ich hätte da aber noch die ein oder andere Frage."
"Wenn es denn sein muss."
"Was passiert eigentlich, wenn mehr oder weniger als einer die Welt durch Ihre Tür verlässt?"
"Das weiß ich nicht. Möchte ich auch wirklich nicht herausfinden. Bin mir ziemlich sicher, dass es mir nicht gefallen würde. Jetzt los, los! Moment, wollten Sie nicht Socken anziehen?"
Er deutet auf ihre immer noch nackten Füßen. Sie zuckt mit den Schultern:
"Ich glaube, dass ich das nicht gesagt habe. Aber Sie haben mir auch nicht ihren Namen verraten."
"Was sind schon Namen. Außer Einträgen auf einer Liste. Aber nennen Sie mich einfach Jack, Fräulein, das tun die meisten."
Vor dem Gesicht des Mannes taucht plötzlich ein weißer Stofffetzen auf, der ihn freudig mit verstellter Stimme der Frau anspricht:
"Hi! Freut mich, Jack. Ich bin Mister Socko! Ich mache mich gleich mit meiner Freundin hier in ein neues Leben auf. Konnte sie ja schlecht allein gehen lassen. Wir beide, sie und mich, verbindet so viel. Man soll ja nie alle Brücken abbrechen lassen, sagt man so. Nett, dich kennen gelernt zu haben, wir zwei müssen dann wohl mal!"
Jack betrachtet die über ihre Hand gestreifte Sockenpuppe entsetzlich verwirrt.
"Was soll das?"
Sie greift an die Klinke der Tür:
"Nun, ich muss jetzt, wer will für sein neues Leben schon zu spät kommen und schließlich haben wir zwei es eilig. Aber keine Sorge, ich habe das Gefühl, dass das kein Abschied für immer sein muss. Magst du mitkommen, Jack? Irgendetwas sagt mir, dass du hier nicht bleiben kannst."
Die Tür öffnet sich.

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Damit verabschieden wir Fräulein Söckchen und JackCrow. Vielen Dank für jahrelange Dienste und wir haben das sichere Gefühl, dass sich diese Tür nie ganz schließen wird.

Charlie Harper
01.06.2020, 16:28
Besten Dank für euren Einsatz Fräulein Söckchen und JackCrow :gluck:

Cockney
01.06.2020, 19:48
Miss Socko hatte schon rote Sterne, als ich das erstmalig dieses Forum besuchte und hat für mich damit auch das Board ganz schön geprägt.

Eine fein eingeleiteter Abschied. Vielen Dank euch beiden für die jahrelange Arbeit.

MegAltronF
02.06.2020, 21:06
Danke für alles!:smlove:

Goldberg070
02.06.2020, 21:19
Danke euch beiden. Ich hoffe, man liest euch wenigstens ab und zu mal. An Fräulein Söckchen ohne rote Sterne werde ich mich vermutlich nie gewöhnen können. :(

Ivanhoe
03.06.2020, 08:29
Vielen Dank an beide "Aussteiger". Wir lesen uns! :gluck:

FearOfTheDark
03.06.2020, 09:00
Miss Socko hatte schon rote Sterne, als ich das erstmalig dieses Forum besuchte und hat für mich damit auch das Board ganz schön geprägt.

So ging es mir auch.
Vielen Dank an die aussteigenden Kollegen :genickbruch:

Iceman.at
03.06.2020, 11:22
Willkommen im Rentner Leben. :king:

Face
03.06.2020, 12:30
Schade aber ich verstehe das total. Und besser jetzt als zu spät. Viel Erfolg im Leben ohne Sterne :king:

PrinceDevitt
04.06.2020, 12:22
Alles Gute euch beiden. Evtl. sieht man sich ja mal auf der PS Jack.;):gluck: