Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Entspanntes Verhältnis zum eigenen Land
Thomas Jay
24.08.2021, 21:31
Schaut man in andere Länder, hängen dort Fahnen, spielen sie ihre Hymnen, fühlen sie sich wohl.
In Deutschland wurde man lange schräg angeguckt, wenn man zur WM die Flagge zeigte, oder Marschmusik mag (dafür wird man heute vermutlich immer noch schräg angeschaut).
Frage: Kriegen wir nochmal ein entspanntes Verhältnis zum eigenen Land hin, oder sind wir ewig angespannt auf der Suche nach Gefahren?
Ich finde es schräg, dass das deutsche Verhältnis zu nationalen Symbolen als defizitär betrachtet wird. Für mich ist das Gegenteil der Fall: Ich finde das eher distanzierte Verhältnis zu Fahne, Hymne und Co sehr angenehm. Verhältnisse wie bspw. in den USA finde ich nicht erstrebenswert.
Schaut man in andere Länder, hängen dort Fahnen, spielen sie ihre Hymnen, fühlen sie sich wohl.
In Deutschland wurde man lange schräg angeguckt, wenn man zur WM die Flagge zeigte, oder Marschmusik mag (dafür wird man heute vermutlich immer noch schräg angeschaut).
Frage: Kriegen wir nochmal ein entspanntes Verhältnis zum eigenen Land hin, oder sind wir ewig angespannt auf der Suche nach Gefahren?
Was wäre für dich ein entspanntes Verhältnis? Ich kenne jetzt niemanden der ein "angespanntes" Verhältnis zu Deutschland hat oder sich hier wirklich unwohl fühlt. Warum auch? Wir leben hier in Freiheit, können unsere Meinung sagen (auch wenn ein paar das Gegenteil behaupten), es ist sicher, keiner muss wirklich hungern (auch wenn Armut ein viel zu großes Problem ist), der Reisepass ist einer der weltweit anerkanntesten etc. Klar gibt es Sachen die besser laufen könnten, aber ich bin froh hier auf die Welt gekommen zu sein und hier leben zu dürfen.
Nur weil ich Nationalstolz seltsam finde, suche ich nicht nach irgendwelchen Gefahren oder habe ein angespanntes Verhältnis.
Thomas Jay
25.08.2021, 13:02
Ich identifiziere mich nicht mit einem Land speziell, wenn dann sehe ich mich eher als Nord-/Westeuropäer und als Kind der Weltengemeinschaft, vermute ich. Entspannt finde ich es, dass woanders - ohne reflexartige Gedanken an Nationalismus - Flagge (im UK z. B.) gezeigt wird, ob am eigenen Balkon, auf der Kleidung oder Konzertbühnen oder Lieder angestimmt werden, die mit dem eigenen Land verbunden sind, weil das dort mit einer Selbstverständlichkeit, Leichtigkeit gemacht wird, die wir hier verloren haben aufgrund des Dritten Reichs.
Gerade vor der WM 2006 (seitdem ist das Verhältnis zum eigenen Land glaube ich etwas geheilt, weil zumindest zu diesem sportlichen Ereignis es nicht mehr als komisch angesehen wurde, dass öffentlich Flagge gezeigt wurde) konnte man eher manchmal den Eindruck bekommen, dass hierzulande schnell unbeschwertes Wohlfühlen im eigenen Land oder Patriotismus (wieso sollte man auch nicht zeigen, dass man ein Land mag, das verschiedene positive und zeitgemäße/fortschrittliche Eigenschaften hat? Und wir sind von diesem Land geprägt und gestalten es durch unsere Handlungen, durch Austausch untereinander und demokratisch mit) schnell mit übertriebenem Nationalstolz verwechselt wurde oder gar mit Nationalismus.
Und heute? Seid ehrlich: Was euch durch den Kopf geht, wenn ihr jemand mit einer Islandflagge oder aber mit einer Deutschlandflagge seht, das sind unterschiedliche Gedanken / Gefühle die ihr habt, oder?
Bei letzter gehen einem immer noch reflexartig Gedanken durch den Kopf wie, „na, ob der ein Nationalist ist?“
Ich halte die Identifizierung mit einem Land nur in Maßen für sinnvoll, wir gestalten das Land mit und leben in ihm. Ein bisschen beneide ich die Unbeschwertheit, die man in anderen Ländern sehen kann, zumindest als Tourist oder im Fernsehen. Kann natürlich sein, dass unter der singenden und wedelnden Oberfläche woanders genau so ein kompliziertes Verhältnis zum eigenen Land besteht wie hier.
Ich finde es schön, dass woanders God save the Queen, Pomp & Circumstances, Rule Britannia, The Star spangled Banner, America the Beautiful oder Stars & Stripes forever und so weiter gespielt und gesungen werden und die Leute freuen sich einfach. Das gibt es einfach da regelmäßig auf Volksfesten, Jahrmärkten, bei WrestleMania, Night of the Proms… und alle sind super drauf. Und wie ist es hier? Diese Unbeschwertheit, Freude gibt es hier nicht. Ich erlebe sie nicht bei Veranstaltungen, nicht bei anderen hier und empfinde sie auch nicht.
Es kommt mir vor, als wenn in unserem Land alles grauer ist, eine politische Schwere auf vielem liegt. Das unbeschwerte Leben scheint mir eher in anderen Ländern zu sein, von der allgemeinen Haltung und der zum eigenen Land her. Deutsche verreisen im Vergleich zu anderen Nationen extrem viel. Vielleicht spielt da mit rein, dass es woanders ein leichteres Lebensgefühl ist.
Das ist hier ein gutes, aufgeschlossenes und fortschrittliches Land. Aber leben wir in unseren Köpfen nicht weiterhin im Schatten des Dritten Reichs? Dieses moderne, aufgeschlossene Land haben wir mitgestaltet. Könnten wir theoretisch sagen „hey ich finde mein Land cool“, vielleicht sogar die Fahne auf einem Kleidungsstück / Accessoire tragen oder gar in einer Lokalität zusammen die Hymne anstimmen, ohne dass es anders wirkt, als wenn Iren das in einem Pub machen würden?
Von so einer Leichtigkeit sind wir aus meiner Sicht sehr weit entfernt und ich frage mich, ob dieses Land sie jemals erreichen kann oder ob ewig das Stigma des Dritten Reichs über uns schwebt, obwohl wir, und das tun nicht alle Länder auf der Welt, zu den Verbrechen von damals stehen, daran rund um die Uhr im Fernsehen und in verschiedenen Schulfächern erinnern, dafür bezahlt haben, Fortschritte in Sachen Demokratie und Menschenrechte erreicht haben, die es in vielen anderen Ländern nicht gibt… wir verbiegen uns sogar, z. B. durch die Legalisierung von Beschneidungen. Wir legalisieren lieber Körperverletzung, damit wir ja nicht diskriminierend wirken, weil man diese Karte durch die Schande des Dritten Reichs so leicht gegen uns verwendet werden kann.
Ich glaube man könnte langsam mal sagen: Schön was dieses Land erreicht hat. Lasst uns auch mal ein bisschen entspannter sein. Es ist ein neues Land. Die Schande von damals ist unvergessen, sie definiert und dominiert uns aber nicht.
Sind wir schon soweit?
Deadman39
25.08.2021, 13:45
Also ich glaube das mit dem Urlaub hat andere Gründe. Das rührt noch von den 50er Jahren her, Wirtschaftswunderzeit, als man sich endlich was leisten konnte und wollte und dann nach Italien pilgerte. Denke seitdem ist das irgendwie in unserer DNA, dieses im August ist Urlaub und da muss der Teutone irgendwo hin.
Die USA werden immer als Beispiel heran gezogen für positiven Patriotismus, wobei vergessen wird, dass inzwischen dort auch ein Umdenken stattgefunden hat. Nicht bezüglich Stars & Stripes, aber doch bei Südstaaten-Flaggen, Insignien usw., da wird man sich langsam der unschönen Vergangenheit bewusst, ändert die Flaggen der Bundesstaaten zB, also ein ähnlicher Effekt, wie er bei uns schon seit Ende der Nazizeit besteht.
Im Zusammenhang mit Events wie Fussball habe ich überhaupt kein Problem mit Deutschlandfahnen und denke auch nicht, dass da jemand ein komisches Gefühl haben muss.
Ich denke wir waren nach 2006 auf einem guten Weg zu einem normaleren Umgang mit nationaler Identität, aber zB nach der Flüchtlingskrise und was die so hervorgebracht hat an fahnenschwenkenden Idioten, sehe ich es eher so, dass es nicht nur unsere Vergangenheit ist, sondern zB. auch sowas wie Pegida, warum wir nie unbeschwert die Fahne im Schrebergarten hissen können werden.
Puh...starkes Thema.
Das kann man gar nicht so einfach definieren, da hier verschiedenste Aspekte von Bedeutung sind.
Was das Zeigen der deutschen Flagge betrifft, bin ich persönlich sehr entspannt. Da hat zweifellos die WM 2006 eine andere Qualität reingebracht, die dann in meiner Wahrnehmung bis 2008/2010 konserviert werden konnte.
Ich hatte allerdings generell nie ein Problem damit, wenn irgendwo das Schwarz-Rot-Gold zu sehen war. Beflaggung vor Behörden oder Regierungsgebäuden sind in Berlin einfach nichts Besonderes mehr.
Anders verhält es sich natürlich bei Reichskriegsflaggen oder preußischen Winkelementen. Hier erkennt man ja schnell, welch Geistes Kind man da vor sich hat und der Umstand, dass sich das Zeigen dieser Symbole auch wieder mehr getraut wird, ist für mich ein Zeichen, dass wir weiterhin (und wahrscheinlich für alle Zeiten) die Verpflichtung haben, ein gesondertes Auge auf diese Tendenzen zu werfen.
Bei der Hymne denke ich eher, dass diese rein musikalisch und von der Melodie her einfach...naja... schlecht ist. Wenn ich das bei Sportveranstaltungen sehe, machen Starspangled Banner, God save the Queen oder auch die Marseillaise einfach viel mehr Eindruck, wenn da das ganze Stadion mitsingt.
Ich habe auch nie verstanden, warum man seinerzeit dieses Rumeiern mit den Strophen gemacht hat. Die ist verboten und du darfst nur die singen, Blabla.
Hätte man alles umgehen können, indem man einfach was ganz Neues nimmt. Es gibt ja mehr als genug deutsches Liedgut, welches man hätte verwenden können.
Daher ist unsere Hymne für mich auch ein stückweit immer ein "Mahnmal", welches an die Nazis erinnert und uns auch auffordert, hierbei nie die Aufmerksamkeit zu verringern (was ich im übrigen gut finde).
Deadman39
25.08.2021, 13:49
Bei der Hymne denke ich eher, dass diese rein musikalisch und von der Melodie her einfach...naja... schlecht ist. Wenn ich das bei Sportveranstaltungen sehe, machen Starspangled Banner, God save the Queen oder auch die Marseillaise einfach viel mehr Eindruck, wenn da das ganze Stadion mitsingt.
God save the Queen hatten wir ja auch schon mal. Also zumindest die Melodie... :D
Keine Strophe des "Lied der Deutschen" ist verboten*. Die erste Strophe ist eben nur nicht mehr die Hymne - und es macht auch inhaltlich nicht mehr viel Sinn, sie zu singen, da Memel/Maas/Etsch/Belt nichts mehr mit den deutschen Grenzen zu tun haben**
* Die Amerikaner hatten das Singen direkt nach dem Krieg wohl mal kurze Zeit verboten, aber bevor es zur Hymne wurde
** es sei denn, man möchte die alten Grenzen besingen und zurückfordern
Ich kann das geschilderte Verhältnis zu Deutschland nachvollziehen. Habe 2002 zum ersten Mal bei ner WM ne Fahne ins Fenster gehängt: war der einzige im Viertel und wurde von meinen ELtern gefragt, ob das sein müsse und was da los wär. 2006-14 habens dann alle gemacht und 'Schland' war cool. Aber ab 2015 liefen halt wieder ne Pegida-Menschen damit durch die Straßen und mit denen möchte ich nicht in einem Topf landen. Damit haben gerade diejenigen, die mehr "Patriotismus" fordern, dafür gesorgt, dass Otto Normal ihn nicht zeigen möchte.
Zu dem von dir angeführten "guten, aufgeschlossenem und fortschrittlichem" gehört vielleicht gerade auch, dass wir uns mit unserer Geschichte auseinander setzen. Da können sich "Rule Britania" (Kolonialismus), "God save the Queen" (undemokratisch/imperalistisch), Marseillaise/ Star-spangled Banner (besingen beide Feinde, die heute Alliierte sind) durchaus ne Scheibe abschneiden.
Ehrlich gesagt bin ich eher an einem Punkt, an dem ich mich der amerikanische Flaggen-Fetisch anwidert und ich mich viel eher frage, ob wir nicht häufiger auf Hymnen und Flaggen verzichten sollen. Olympia ist da so ein Beispiel. Braucht es da noch ne Länder-Wertung und einen Einmarsch der Nationen? Treten die Athleten wirklich noch für das Land an? Und hat das Land wirklich irgendetwas für den Athleten getan?
Great Mustachio
28.08.2021, 14:28
Nationalismus ist halt soooo 19. Jahrhundert. Warum sollten wir stolzer auf unser Land sein und es mehr präsentieren? Nationalstaaten sind, meiner Meinung nach, längst überholt. Erste Auflösungserscheinungen gibt es ja bereits (EU, UN, Freihandelsabkommen etc.), und das ganze wird nur noch weiter gehen.
Duke of Bridgewater
29.08.2021, 08:55
Ist die EU grundsätzlich anders als die sogenannten Nationalstaaten?
Sie betreibt doch ähnliche Rhetorik, nur eben mit dem Stolz, "Europäer" zu sein. Es gibt eine Grenze, und du gehörst zu uns oder eben nicht. Und die Wirtschafts- und Handelspolitik ist an diesen "europäischen Interessen" ausgerichtet, während sie anderswo die Menschen ausbeutet und die Umwelt zerstört.
Und auch Freihandelsabkommen sind ja so ausgerichtet, dass sie gut für einige Wirtschaftszweige sind, während andere, die weniger wichtiger erscheinen, der ausländischen Konkurrenz zum Fraße vorgeworfen werden. So etwas ist, wenn es von einem Einzelstaat gemacht wird, nationalistisch (man muss seine Partikularinteressen dem Wohle der Nation unterordnen). Wenn es von der EU kommt, ist es nicht qualitativ anders, nur etwas größer.
Von der UNO und anderen internationalen Organisationen kann man auch nicht viel erwarten, da sie vom Geld mächtiger Staaten abhängen.
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